CSD Erfurt 2022

Forderungen

1) Gleichberechtigter Zugang zu medizinischer Versorgung

  • Queer Sensibilisierung in der Medizin

    Das Grundgesetz garantiert körperliche Unversehrtheit als Grundrecht jedes Menschen. Eine ganzheitliche medizinische Versorgung ist die Voraussetzung dafür. Queere Menschen müssen sich in medizinischen Kontexten gesehen und wohlfühlen, damit sie von diesem Recht Gebrauch machen können. Daher fordern wir Queer-Sensibilisierung in der Medizin - sowohl in der Praxis als auch in der Forschung. Dazu bedarf es der Integration queerer Belange in Aus- sowie Fortbildungen. Es muss Schluss sein mit heteronormativen Annahmen und Stigmatisierung. Dies ist insbesondere bei Gynäkolog*innen relevant.

  • Blutspenden für alle möglich machem

    Wir fordern ein Ende der diskriminierenden Zulassungskriterien für die Blutspende. Auch die auf vier Monate verkürzte Zurückstellungsfrist ändert nichts an der Stigmatisierung, sondern unterstellt homo- und bisexuellen Männern, sowie trans*-Personen ein per se risikohaftes Sexualverhalten. Wir fordern ein Ende der Pauschalisierung von MSM (Männern, die Sex mit Männern haben) und die Abwägung anhand des individuellen Risikoverhaltens jeder spendenden Person unabhängig von der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität.

2) Rechtliche Gleichstellung

  • Selbstbestimmungsgesetz/Verfahren bei Geschlechtsangleichung humanitärer gestalten

    Das diskriminierende Transsexuellengesetz muss abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Auf die Vorstellung der Eckpunkte dieses Gesetzes im Juni muss nun eine zügige Umsetzung folgen. Das geplante Selbstbestimmungsgesetz bezieht sich jedoch ausschließlich auf die Möglichkeit zu Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens im Personenstandsregister. Deshalb fordern wir, dass die Einführung des Gesetzes durch eine humanitärere Gestaltung der Verfahren zur Geschlechtsangleichung flankiert wird. Dazu zählen das Ende von Begutachtungen sowie Gerichtsverfahren und den damit verbunden hohen Kosten. Die eigene Geschlechtsidentität kann nicht von außen begutachtet werden.

  • Komplette Gleichstellung von Regenbogenfamilien

    Trotz der Einführung der "Ehe für alle" im Jahr 2017 bleiben Anpassungen des Familienrechts leider aus. Wir fordern sowohl die rechtliche Gleichstellung als auch die gesellschaftliche Akzeptanz aller Familienformen. Dazu zählt die sofortige Reform des Abstammungsrechtes - noch im Jahr 2022. Das aktuelle Abstammungsrecht beinhaltet benachteiligende Regelungen wie etwa die diskriminierende Stiefkindadoption. Diese ist notwendig, da bei einem Kind, welches in die Ehe eines lesbischen Paares hineingeboren wird, die nicht-leibliche Mutter nicht automatisch als Mutter anerkannt wird. Wir fordern hier keine speziellen Rechte für queere Menschen, sondern lediglich die Anwendung des gleichen Rechts für alle. Regenbogenfamilien dürfen nicht länger von Wohlwollen in Adoptions- und Gerichtsverfahren abhängig sein. Familie bedarf keiner Legitimierung von außen.

3) Öffentliche Angebote und Unterstützung

  • Konsequente Umsetzung des Landesprogramms für Akzeptanz und Vielfalt

    Das 2018 beschlossene „Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt“ der Landesregierung, welches zur Akzeptanzförderung und Gleichstellung für LSBTIQ*  beitragen soll und Vielfalt als Querschnittsaufgabe in Politik, Verwaltung und Gesellschaft versteht, muss seine Versprechungen auch einlösen. Für die konsequente Umsetzung sind eine finanzielle Aufstockung sowie die gezielte Umsetzung des Programms notwendig. Dazu ist es wichtig, queere Menschen umfassend einzubeziehen.

  • Professionelle Anlaufstellen + Beratungsstellen für TINA*-Personen aufbauen + sicherstellen

    Insbesondere trans, inter, nicht-binäre und agender Personen, also Personen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem wiederfinden, sehen sich mit Hürden in der Gesellschaft konfrontiert, die professionelle Unterstützung notwendig machen. Wir fordern den Aufbau sowie die langfristige (finanzielle) Sicherung derartiger Angebote.  

  • Gendersensible Sprache in öffentlichen Kontexten/Behörden

    Sprache schafft Realitäten und in- oder exkludiert Menschen. Aktuell werden in den Thüringen Behörden vornehmlich geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet. Wir fordern, im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Gleichstellungsgesetzes eine klare Entscheidung für gendersensible Sprache, welche mit einem sichtbaren Zeichen (Stern, Unterstrich oder Doppelpunkt) bewusst alle Menschen und insbesondere Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems inkludiert.

    In immer mehr offiziellen Formularen gibt es die Möglichkeit den Geschlechtseintrag divers zu wählen. Wir fordern, die Verpflichtung zur Geschlechtsangabe in allen Formularen abzuschaffen oder zumindest die durchgängige Möglichkeit "keine Angabe" zu wählen.

    Ein Positivbeispiel für umfassende kommunale Gleichstellungspolitik ist das gender mainstreaming in der Stadt Wien. Darunter wird eine Strategie verstanden, bei der die strukturellen, genderbezogenen Ungleicheiten sichtbar gemacht und ihre Ursachen beseitigt werden. Dabei gelten fünf leitende Grundsätze: geschlechtergerechte Sprache, geschlechterbezogene Datenerhebung- und analyse zur Behebung des gender data gap, gleichberechtigter Zugang zu und gleichberechtige Nutzung und gleichberechtigte Nutzung von Dienstleistungen, gleiche Teilhabe und die Integration von Gleichstellung in Steuerungsinstrumente. Um die konsequente Umsetzung sicherzustellen, gibt es ein eigenes Dezernat Gender Mainstreaming.

  • 4) Bildung

    Bildung ist der Grundbaustein für Akzeptanz und Toleranz. Queere Repräsentation im Bildungswesen ist der Schlüssel dazu. Forderungen wie die nachstehenden sind, da sie die Kultuspolitik betreffen, insbesondere auf Landesebene relevant. 

    • Die Bildung in der Schule bildet die Grundlage für den Abbau von Vorurteilen. Wir fordern mehr Aufklärung in Schulen durch die Anpassung von Lehrplänen. Außerdem ist eine fächerübergreifende Thematisierung anzustreben, die Vielfalt in der Gesellschaft nicht nur im Fachunterricht, sondern beispielsweise auch über Textaufgaben im Mathematikunterricht oder Literaturanalysen abbildet.
    • Eine wichtige Voraussetzung für Schulen der gelebten Vielfalt ist es, das Lehrpersonal zu sensibilisieren. Der Staat muss Schulungen und Fortbildungen ermöglichen, um Lehrer*innen auf den einfühlsamen Umgang mit queeren Themen vorzubereiten. Themen dabei können gendersensible Sprache, der Umgang mit Jugendlichen im Prozess der Geschlechtsangleichung sowie der Umgang mit nicht-binären Menschen im Unterricht (Trennung von Jungen und Mädchen im Sportunterricht etc.) sein.
    • Wir unterstützen die Forderungen der Initiative Teach-Out, die queere Vielfalt im Bildungswesen sichtabr macht und deren Offenheit ein Positivbeispiel darstellt und Hoffnung in Bezug auf gelebte Vielfalt macht.
    • Damit in Zukunft alle in "Schulen der Vielfalt" lernen und lehren können, gibt es folgende konkrete Umsetzungspunkte: Es bedarf Diversitätsbeauftragten an Schulen, Richtlinien zu gendergerechter Sprache, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als verpflichtende Ausbildungsinhalte in pädagogischen Ausbildungen (auch im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen) sowie der vielfältigen Abbildung der Realität in Lehr- und Lernmaterialien sowie Aufgabenstellungen.

5) Anti-Gewalt-Arbeit & Akzeptanzförderung

  • Mehr Öffentlichkeit bei queerfeindlichen Übergriffen

    Die Zahl queerfeindlicher Vorfälle steigt. Eine öffentliche Diskussion bleibt jedoch weitgehend aus - auch aufgrund einer mangelhaften Datenlage. Wir fordern, dass LGBTIQ+ bezogene Hasskriminalität in Thüringen spezifisch erfasst und so sichtbar gemacht wird. Außerdem müssen die Anstrengungen zur konsequenten Aufklärung von diesbezogenen Gewalttaten verstärkt werden.

  • Akzeptanz & Sichtbarkeit für trans* Personen stärken

    Trans*- und insbesondere nicht-binäre Personen sind in der Gesellschaft oft unsichtbar - auch weil Sichtbarkeit noch zu oft Selbstgefährdung bedeutet. Sichtbarkeit bedeutet aber auch Anerkennung. Sichtbarkeit bedeutet Repräsentation und Vorbilder, die Mut machen. Dabei ist es allerdings wichtig, Menschen nicht auf ihr Transsein zu reduzieren - es braucht Raum für komplexere trans* Personen in der Gesellschaft, in Medien und im Alltag. Denn auch Sichtbarkeit ist auch die Voraussetzung für Akzeptanz. 

    Wir fordern, die konsequente Aufklärung von Gewalt an LSBTIQ* und neue Anstrengungen zur Verhinderung solcher Taten.

  • 6) Internationales

    • Wir streben an, dass sich queere Menschen überall auf der Welt sicher fühlen können. Wie dramatisch die Lage queerer Menschen international ist, zeigt sich daran, dass Homosexualität in 69 Staaten wird noch immer strafrechtlich verfolgt wird, in 11 Ländern sogar die Todesstrafe droht und Diskriminierung in fast allen Staaten alltäglich ist. Es kann nicht sein, dass in EU-Staaten "LGBTQ-freie Zonen" ausgerufen werden und die Rechte von trans* und intergeschlechtlichen Personen eingeschränkt werden. Wir fordern eine klare queerpositive Positionierung Deutschlands in Anbetracht der weltweiten Ausgrenzungs- und Verfolgungserfahrungen von LSBTIQ*. Dafür bedarf es eines aktiven Einsatz für die Akzeptanz von Vielfalt auf internationaler Ebene und beispielsweise ein Einwirken auf Partnerstädte.

      Wir fordern in Anbetracht der aktuellen Situation eine Anerkennung der Bedarfe von queeren Geflüchteten, die umfassende Anerkennung von Verfolgung aufgrund der seuxuellen und geschlechtlichen Identität als Asylgrund sowie entsprechende Unterstützungsmaßnahmen.